Das Karpaltunnelsyndrom (KTS) ist ein häufiges neurologisches Problem, jeder Sechste ist im Laufe seines Lebens davon betroffen, Frauen sogar doppelt so häufig wie Männer. Die Therapie ist mitunter schwierig – nicht jede OP ist erforderlich, zunächst kann oft eine konservative Therapie versucht werden. Wird aber der Zeitpunkt für eine notwendige OP verpasst, kann es zu dauerhaften Ausfällen kommen. Das A und O ist also eine gesicherte Diagnose, anhand derer eine valide Therapieentscheidung gefällt werden kann. Diese Diagnosesicherung leistet die Neurologie mit verschiedenen bildgebenden und elektrophysiologischen Verfahren.
Nächtliche elektrisierende Schmerzen in einer Hand, Taubheit und Kribbeln („eingeschlafene Hand“) sowie Steifheit und Kraftlosigkeit am Morgen – das deutet auf ein Karpaltunnelsyndrom (KTS). Ungefähr jeder sechste Berufstätige ist davon im Verlauf des Lebens betroffen. Der Karpaltunnel befindet sich beugeseitig am Handgelenk. Dort verlaufen der Nervus medianus („Handmittelnerv“) und Muskelsehnen. Der Tunnel wird gebildet aus den Handwurzelknochen und einem quer darüber verlaufenden Bindegewebsband („Retinaculum flexorum“). Bei Verengung im Karpaltunnel kommt es zu Schmerzen (anfangs nur sporadisch bei bestimmten Bewegungen), später auch zu Taubheit, Muskelschwäche bis hin zu Lähmungen der Hand.
Eine gängige Behandlungsmethode ist die operative Durchtrennung des Retinaculums zur Druckentlastung. In Deutschland werden jährlich etwa 300.000 operative Eingriffe durchgeführt , einige allerdings zu früh und einige zu spät. „Wir empfehlen daher jeder Patientin/jedem Patienten eine neurologische Diagnosesicherung“, erklärt PD Dr. Andrea Jaspert-Grehl Essen, Expertin der Deutschen Hirnstiftung. „Die Neurologin/der Neurologe kann anhand verschiedener bildgebender und elektrophysiologischer Untersuchungen feststellen, ob eine OP indiziert ist oder zunächst konservative Verfahren versucht werden können ohne das Risiko, die Beschwerden zu chronifizieren“. Das ist ratsam, da jeder Eingriff mit einem OP-Risiko einhergeht und in seltenen Fällen auch Komplikationen wie Nahtdehiszenzen, Sehnen- und Nervenverletzungen auftreten können.
Konservative Maßnahmen können kurzfristig zu einer deutlichen Symptombesserung führen. Allerdings ist ihr Erfolg im Langzeitverlauf nicht gesichert [3]. So ist nicht klar, ob die gängige Ruhigstellung des Handgelenks mit einer Schiene (Orthese) auch langfristig hilft. Auch das seit Jahren in der Physiotherapie beliebte Kinesio-Taping kommt beim KTS zum Einsatz. Ultraschall- und Lasertherapie sollen über Energieabgabe im Gewebe wirken, gelegentlich konnte in Studien eine kurzzeitige Schmerzlinderung erreicht werden, jedoch nicht über drei Monate hinaus. Auch die medikamentöse Therapie des KTS zeigte keine zufriedenstellende Studienergebnisse. So wirkt Kortison abschwellend und entzündungshemmend, doch Langzeiteffekte sind nicht belegt. Studien zum Einsatz anderer Medikamente wie Gabapentin, ein Antiepileptikum, das bei anderen Nervenschmerzen (Neuropathien) eingesetzt wird, oder Injektionen mit körpereigenen (autologen) Blutprodukten wie PRP („Platelet-Rich Plasma“), fielen negativ aus. Erste ermutigende Ergebnisse liefert dagegen eine aktuelle Metanalyse [4] zur manuellen Therapie mit der sogenannten Neurodynamik. Dadurch sollen Verklebungen gelöst und die Beweglichkeit bzw. Gleitfähigkeit im umgebenden Gewebe verbessert werden. Die Autorinnen und Autoren ordnen die Effektivität der Neurodynamik dem Evidenzlevel B zu und empfehlen den Einsatz zur Behandlung des KTS. Andere Arbeiten zeigten für die Kombination von Neurodynamik mit Kinesio-Taping, dass die Resultate der Neurodynamik weiter verbessert werden konnten [1]. Liegen allerdings bereits deutliche Einschnürungen des Nervs vor, die man im Ultraschall sehen kann, so erscheint eine Besserung durch diese Methode wenig wahrscheinlich.
Dementsprechend gibt es Fälle, bei denen immer sofort der chirurgische Eingriff erforderlich ist, da sich ansonsten unwiederbringliche Schäden entwickeln. „Wir bemängeln, dass in manchen Fällen zu früh und zu häufig operiert wird, in der Praxis sehen wir aber auch Fälle, bei denen das Zeitfenster für eine OP verpasst wurde und die Patientinnen und Patienten langfristig funktionelle Einschränkungen und Schmerzen behalten. Wir empfehlen daher eine rechtzeitige Beurteilung eines Karpaltunnelsyndroms durch eine Neurologin/einen Neurologen“, so die Expertin.
Die Telefonsprechstunde findet am 17. Mai von 18 – 20 Uhr statt.
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