Fragen an Dr. med. Katharina Kamm, Assistenzärztin für Neurologie, Oberbayerisches Kopfschmerzzentrum, Neurologische Klinik und Poliklinik, LMU Klinikum
Kann Migräne zweifelsfrei diagnostiziert und nachgewiesen werden?
Dr. Kamm: „Die Diagnose der Migräne wird klinisch gestellt, auf Grundlage einer ausführlichen Anamnese und anhand der ICHD-3-Kriterien (internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen). Bei den meisten Patienten zeigt sich ein typisches Krankheitsbild, sodass die Diagnose gestellt werden kann (z. B. Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, Rückzugsbedürfnis, Verschlechterung bei Bewegung). Sofern die Anamnese hinsichtlich der Migräne typisch ist und keine Warnsymptome bestehen, wird keine weitere Diagnostik benötigt. Bislang gibt es jedoch keine Biomarker für den Nachweis einer Migräne.“
Wie verläuft eine Diagnose bei einem Migräneverdacht?
Dr. Kamm: „Im Vordergrund steht eine ausführliche Kopfschmerz-Anamnese – dabei werden die Patienten unter anderem nach dem Verlauf einer Migräne-Attacke, Begleitsymptomen, Häufigkeit und Akutmedikation zur Behandlung des Kopfschmerzes gefragt. In einigen Fällen kann gegebenenfalls auch eine Kernspintomographie des Schädels (cMRT) durchgeführt werden. Laut Leitlinie sollte dies beispielsweise bei dem Verdacht einer Migräne mit Aura geschehen.“
Welche Rolle spielt das „Migräneeiweiß“ CGRP?
Dr. Kamm: „Die Abkürzung CGRP steht für Calcitonin Gene-related Peptide und ist ein multifunktionales Neuropeptid, also ein Botenstoff, der von Nervenzellen freigesetzt wird. Es weitet die Gefäße und wirkt entzündungsfördernd. Aus Studien ist bekannt, dass CGRP während akuten Migräneattacken im Blut erhöht und nach Besserung des Kopfschmerzes (z. B. nach Einnahme einer Akutmedikation) reduziert zu finden ist. Erhöhte CGRP-Spiegel konnten auch interiktal – das heißt, kein Kopfschmerz und keine Einnahme von Akutmedikation in den letzten 48 Stunden – nachgewiesen werden. Bislang unklar ist noch, ob der Nachweis im peripheren Blut möglich ist. In den zentralen Gefäßen (externe
Jugularvene) scheint er möglich, ist aber invasiv. Das CGRP wird aus den Endigungen des Trigeminusnervs, der die Hirnhäute und die arteriellen Gefäße der Hirnhäute innerviert, freigesetzt. Unklar ist jedoch der Auslöser, der zur Freisetzung führt. Der Nervus trigeminus, der fünfte Hirnnerv, innerviert sensibel das Gesicht und die Hirnhäute. Aufgrund der Reizversorgung (Innervation) des Auges durch den Nervus trigeminus ist CGRP auch in der Tränenflüssigkeit nachweisbar. Die Entnahme von Tränenflüssigkeit ist weniger invasiv als die Blutentnahme aus der externen Jugularvene.“
Warum ist der CGRP-Wert bei Migräne-Patienten erhöht?
Dr. Kamm: „Aufgrund der Studienlage ist klar, dass CGRP eine zentrale Rolle in der Migränepathophysiologie spielt, genauer in der Entstehung des Kopfschmerzes. Unklar ist, was die Migräneattacke auslöst und wie es zur Aktivierung des trigeminalen Systems kommt. Es ist aber nachgewiesen, dass während einer Migräneattacke der CGRP-Spiegel erhöht ist. Zudem ist experimentell bewiesen, dass CGRP intravenös verabreicht bei Migräne-Patienten zu einem Migräne-typischen Kopfschmerz führt, jedoch nicht bei gesunden Kontrollprobanden. Weiterhin zeigen CGRP-Antagonisten und CGRP-Antikörper eine gute Wirksamkeit in der akuten und prophylaktischen Behandlung der Migräne.“
Was halten Sie von dem möglichen Diagnoseverfahren, Migräne zukünftig in der Tränenflüssigkeit nachzuweisen?
Dr. Kamm: „Der Nachweis in der Tränenflüssigkeit könnte als nicht-invasives Verfahren die Migränediagnose unterstützen. Patienten mit weniger klassischen Migränesymptomen könnten so leichter und schneller diagnostiziert werden. Darüber hinaus könnte eventuell sogar der Therapieeffekt gemessen werden, z. B. ob die CGRP-Antikörpertherapie gut anschlägt. In einer Studie im peripheren Blut in chronischen Migränepatienten konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einem guten Ansprechen auf die Behandlung mit OnabotulinumtoxinA erhöhte CGRP-Spiegel vor der Behandlung aufwiesen – hier ist allerdings zunächst weitere Forschung notwendig.“
Könnte dies also der Durchbruch in der Migränediagnose sein?
Dr. Kamm: „Es ist schon seit ein paar Jahren bekannt, dass CGRP in Tränen messbar ist. CGRP ist ein Marker der trigeminalen Aktivität – für den Einsatz als Biomarker, sowohl im Blut als auch in der Tränenflüssigkeit, bedarf es viel Forschung. Allerdings könnte das Verfahren die Diagnose erleichtern, beschleunigen und präzisieren.“
Wir bedanken uns für das Gespräch!