Wie wir gesehen haben war die Einführung von Geld im Laufe der Jahrtausende eine beachtliche Leistung und Herausforderung für unsere kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten. Dies will jedoch nicht heißen, das wir den Umgang mit Geld auch immer auf allen Ebenen unseres Gehirns meistern.
Daniel Kahneman (geb. 1934), ein israelischer Psychologe, der 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, hat in seinem Bestseller “Thinking, Fast and Slow”, erschienen 2011, eingehend und anschaulich erläutert, dass unser Gehirn mit zwei unterschiedlichen Arten des Denkens funktioniert: Das schnelle, instinktive und emotionale System 1 und das langsamere System 2, das Dinge durchdenkt und logisch arbeitet. Die Erkenntnisse beruhen auf der Heuristics-and-Biases-Forschung, die Kahneman mit Amos Tversky (1937-1996) in den 1970er Jahren begründet hat.
Es ist lediglich das System 2, welches die Abstraktion des Umgangs mit dem Geld wirklich meistert. Es ist berechnend, logisch, langsam, anstrengend, bewusst und selten aktiv im Gegensatz zum System 1. Dieses ist schnell, automatisch, emotional, stereotypisierend, unbewusst und immer aktiv.
Kahneman hat aufgezeigt, wie die beiden Systeme oft zu verschiedenen Schlüssen für Entscheidungen in Geldangelegenheiten kommen, wie auch bei anderen Entscheidungen des Lebens. Das System 2, das alleine rationale und logische Entscheidungen auf dem komplexen Gebiet von Geldangelegenheiten fällen kann, erweist sich rasch als “faul”, ausgelastet und erschöpft, während die “kognitive Leichtigkeit” des System 1 oft bestimmte unrealistische Denkweisen fördert. Dabei spielt natürlich der auch sonst in der Psychologie allgemein bekannte Halo-Effekt mit, der besagt “What you see is all there is” (WYSIATI) und typisch für die Funktionsweise des System 1 ist.
Eine hirnmorphologische Positionierung von System 2 im Neocortex (siehe die vorangegangene Abbildung) ist auch weiterhin hypothetisch und ebenso wenig erwiesen wie ihre Positionierung in der linken Hirnhälfte hier, die von vielen Verfassern derzeit auch noch vertreten wird.
Dies erklärt unter anderem typische Fehler bei unserer mentalen Buchführung. Hierzu drei Beispiele von Claudia Hammond aus ihrem Buch „Erst denken, dann zahlen: Die Psychologie des Geldes und wie wir sie nutzen können“ (2017).
Wir sind im Supermarkt und unser Blick fällt auf eine gute Flasche Gin, aber wir zucken zusammen, wenn wir das Preisschild sehen: 20 Euro sind ja wohl viel zu teuer! Eine Woche später treffen wir uns nach Feierabend mit einer Freundin und bestellen uns einen Gin Tonic. Der Drink kostet 10 Euro, aber was kümmert uns der Preis. Dieser Moment ist es uns wert. Und schwupp bestellen wir noch eine zweite Runde.
Das ökonomische Konzept des Tausches von Geld gegen Ware basiert darauf, dass ein Euro unter allen Umständen denselben Wert behält, aber unsere Psyche erweist sich hier im täglichen Leben irrational. Je nach Situation misst sie hier mit unterschiedlichen Maßstäben.
Richard Thaler (geb. 1945), der zeitweise mit Daniel Kahneman und Amos Tversky gearbeitet hat und selbst 2017 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen hat, erläutert, dass wir hier mit sogenannten mentalen Konten arbeiten, auf die wir unser Budget im Kopf verteilen.
Dies erklärt, warum der Pfennigfuchser aus dem Supermarkt andererseits ein kleines Vermögen für einen guten Drink ausgibt: Das Geld im Supermarkt stammt aus dem mentalen Topf für die Einkäufe und das andere aus dem Topf für den Urlaub. Wenn man sich etwas gönnt, sitzt das Geld dann eben einfach lockerer.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf unser relatives Denken, das Geldbeträge in ihrer Proportion zu den anfallenden Gesamtkosten bewertet.
Stellen wir uns vor, wir wollen im Urlaub ein Fahrrad ausleihen. Wir haben die Wahl zwischen einem Rad für 25 Euro im Laden um die Ecke und einem für 10 Euro in einem Geschäft, das 15 Minuten entfernt ist. Die meisten von uns würden den kleinen Umweg gerne in Kauf nehmen. Wir haben Zeit und für die gesparten 15 Euro können wir uns unterwegs etwas Leckeres zu essen kaufen.
Jetzt stellen wir uns vor, wir könnten wieder 15 Euro durch einen Umweg sparen, aber dieses Mal geht es um den Kauf eines Gebrauchtwagens für, sagen wir, 4000 Euro. Die meisten von uns würden hier der möglichen Ersparnis von 15 Euro keine große Beachtung schenken.
Gemäß Richard Thaler kommt hier das Geld für das Auto aus einem anderen, deutlich größeren Topf als das Geld für die Radtour. Für die ersparten 15 Euro könnten wir noch immer lecker essen gehen, aber durch die Relation zum Gesamtpreis scheint uns der Umweg hier nicht die Mühe wert.
Bei dem dritten Beispiel geht es um Rudy Kurniawan (geb. 1976), der in den Jahren 2000 als einer der fünf besten Weinexperten angesehen wurde. Er hat in Amerika erlesene französische Weine für 35 Millionen Dollar versteigert, bis sich dann nach Jahren herausgestellt hat, dass es Mischungen von Billigweinen mit falschen Etiketten waren. Aber selbst ausgewiesene Weinkenner sind trotz ihrer vermeintlich feinen Nasen auf seinen Betrug hereingefallen.
Was hier zum Tragen kam ist in der Kognitionspsychologie als Bestätigungsfehler oder Bestätigungsverzerrung (confirmation bias) bekannt. Es ist unsere innewohnende Neigung, Informationen so auszuwählen, zu ermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen (bestätigen). Das bedeutet, dass wir sehen, hören oder schmecken, was wir sehen, hören oder schmecken wollen. Kurniawan erzählte seinen Sommeliers, er würde ihnen einen exquisiten Château Mouton Rothschild 1974 im Wert von mehreren tausend Dollar zu trinken geben. Also stellten sich ihre Geschmacksknospen auf ein besonderes Sinneserlebnis ein. Und genau so haben sie es dann auch empfunden.
Dieses Phänomen wurde auch von einem Team aus Wissenschaftlern des California Institute of Technology experimentell untersucht. Sie konnten feststellen, dass jedes Mal, wenn eine Testperson einen vermeintlich teuren Wein probierte, eine rege Aktivität im orbitofrontalen Kortex des Gehirns registriert werden konnte, und zwar in einem Areal, das für die Verarbeitung angenehmer und lustvoller Empfindungen zuständig ist. Es hat also keine Rolle gespielt, dass die Probanden in Wirklichkeit billigen Supermarktwein tranken. Die Erwartung eines luxuriösen Geschmackserlebnisses reichte aus, um die Sinneserfahrung zu veredeln.