Bei dem Ausdruck “Geld-Krankheit” (was natürlich nichts mit Geld bei Krankheit oder Krankengeld zu tun hat) mögen viele zunächst an Gestalten wie Herr Harpagon bei Molière (1668) und Ebenezer Scrooge bei Charles Dickens (1843), oder auch Onkel Dagobert bei Walt Disney denken, die krankhaft erscheinenden Formen von Geiz anschaulich verkörpern.
Unter dem Einfluss von Thomas von Aquin wird die Habgier (Avaritia) seit dem Mittelalter von der katholischen Kirche mit Superbia (Hochmut, Stolz, Eitelkeit und Übermut), Luxuria (Wollust, Ausschweifung, Genusssucht, Begehren oder Unkeuschheit), Ira (Zorn, sei es Jähzorn, Wut oder Rachsucht), Gula (Völlerei, d. h. Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Unmäßigkeit sowie auch Selbstsucht), Invidia (Neid, Eifersucht und Missgunst) und Acedia (Faulheit und Feigheit, Ignoranz, Überdruss, innere Trägheit) zu den “sieben Todsünden” zusammen gefasst. Diese stehen den sogenannten Kardinaltugenden gegenüber. Dante Alighieri verbannt sie in seiner Göttlichen Komödie für ewig in den vierten Kreis der Hölle.
Eine genauere theologische Betrachtung zeigt jedoch, dass das, was volkstümlich als “Todsünde” (peccatum mortiferum oder mortale) bezeichnet wird, letztlich nur ein Laster, d.h. eine schlechte Charaktereigenschaft ist.
Auch medizinisch gesehen wird man die Habsucht am ehesten mit abhängigen Persönlichkeitsstörungen und dem Suchtverhalten in Verbindung bringen, die dann ihrerseits wiederum mehr oder weniger Krankheitswert erlangen können.
Dem gegenüber sind unter “Money Sickness” andersartige psychische Störungen zu verstehen. Brad und Ted Klontz haben 2011 hierbei einen Krankheitsbegriff Geldstörungen (“Money Disorders”) folgendermaßen definiert:
„Geldstörungen sind maladaptive Muster finanzieller Überzeugungen und Verhaltensweisen, die zu klinisch signifikantem Stress, Beeinträchtigung sozialer oder beruflicher Funktionen aufgrund von finanzieller Belastung oder der Unfähigkeit, die eigenen finanziellen Ressourcen angemessen zu nutzen, führen”.
Die damit verbundenen Probleme sind weit verbreitet und allgemein bekannt, aber die psychischen Hintergründe und Behandlungserfordernisse wurden bisher auf psychotherapeutischer Ebene weitgehend vernachlässigt und ignoriert.
Es gibt bis heute keinen hierzu passenden Diagnoseschlüssel in den offiziellen Verzeichnissen für psychische Störungen, sei es in der kommenden 11. Ausgabe der International Statistical Classification of Diseases (ICD-11) noch der weiterhin aktuellen 5. Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM–5).
Es handelt sich jedoch ebenso wie bei der Sexualität um eine unumgängliche Grundfunktion für das soziale Bestehen in der Gesellschaft. War die menschliche Sexualität und ihre Auswirkungen in der gut bürgerlichen Gesellschaft zur Zeit von Sigmund Freud noch ein heikles Tabu, das nicht ungestraft angesprochen werden durfte, hat sich dies seither wandeln können und wir haben jetzt Sexualunterricht in den Schulen als Pflichtfach. Anders jedoch bei unserem Verständnis und Umgang mit Geld. Es besteht weiterhin das Tabu “über Geld spricht man nicht” und alle Informationen und Probleme, die damit auf persönlicher Ebene verbunden sind, werden auch heute noch, wenn überhaupt, nur schamhaft und hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt.
Die Fähigkeit, einen angemessenen und sinnvollen Umgang mit dem Geld leisten zu können ist jedoch ebenso wichtig wie die Fähigkeit, unsere sexuellen Veranlagungen und Bedürfnisse sinnvoll zu entfalten.
Aber im Gegensatz zur Sexualität bestehen auf diesem Gebiet für viele auch weiterhin unausgesprochene Vorurteile und Tabus, die ihnen das Leben schwer machen.
Diese werden zu meist unauffällig und ohne, dass sie es wirklich merken oder wollen von den Eltern an die Kinder weitergegeben, so wie die Eltern sie auch bereits von ihren eigenen Eltern übermittelt bekommen haben.
Dem Geld wird dabei oft mancherlei dunkle Funktion und Qualität zugesprochen, die außerhalb seiner rationalen Funktion als ein materielles Austausch- und Zahlungsmittel liegen. Dazu gehören Vorstellungen, die besagen, dass Geld etwas Unanständiges wäre, das man nicht horten und anderen vorbehalten sollte oder dass nur Unglück und Sorgen bringen könne oder das in irgendeiner Weise mit dem Bösen in Verbindung stehe.
Hier finden sich auch Sätze, wie die folgernde, die besagen, dass Geld nicht glücklich mache und “Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt” (Markus 10:25).
Diese schaffen eine negative Einstellung zu Geld und Besitz, die oft die weitere Lebensgestaltung und die Grundhaltung gegenüber Reichtum in einer abwertenden und dem Bösen zugehörigen Weise prägt, ohne dass uns dies je bewusst werden muss.
Insofern dies als Teil der uns überlieferten Lehre der katholischen Kirche erlebt wird, wäre auch hier, wie auch bereits zuvor bei der Frage der “Todsünden”, eine weitergehende kritische theologische Erläuterung vonnöten, denn es kann wohl nicht wirklich die Heilslehre der katholischen Kirche sein, dass Reichtum und Besitz zu verschmähen sind, wenn man dabei in Betracht zieht, das die katholische Kirche selbst in unserer christlichen Welt im Laufe der Jahrhunderte mehr Eigentum und Grundbesitz angehäuft hat als irgend eine andere Institution.
Dem gegenüber stehen die von Max Weber (1864-1920) formulierte Protestantismus-Kapitalismus-These und sein Prinzip der Werturteilsfreiheit.
In Bezug auf unsere dem Bewusstsein nicht zugängliche Einstellung gegenüber Geld und Besitztum besagt diese, dass die Glaubenslehre der Protestanten sich insofern vom Dogma der katholischen Kirche entfernt hat, als sie Besitz und Reichtum nicht mehr als ein Hindernis auf dem Weg zum Seelenheil angesehen haben, sondern als ein Zeichen Gottes für einen aufrechten und heilbringenden Lebensweg.
Hierher gehören Psalm 112:3 “Sie werden reich und wohlhabend und werden immer für ihre Fairness in Erinnerung bleiben” und das Gebet von Jabez: „Oh Herr, dass Du mich doch segnen würdest, und mein Gebiet vergrößern, dass Deine Hand mit mir sei, und dass Du mich vor dem Bösen bewahrst.“ (Bruce Wilkinson, The Prayer of Jabez: Breaking Through to the Blessed Life, 2000).
Max Weber erläutert, dass in der protestantischen Ethik der Beruf eine von Gott gestellte Aufgabe ist. Um Gott wohlzugefallen, muss man die irdischen Pflichten, zu den er uns berufen hat, erfüllen und die Arbeit mit Fleiß ausführen. Dies ist der einzige Weg zum Seelenwohl und nicht die Askese der Mönche. Dieser Protestantismus verpflichtet somit den Einzelnen, zum Ruhme Gottes, Besitztum zu erhalten und durch rastlose Arbeit zu vermehren – beides sind wesentliche Bestandteile des “modernen kapitalistischen Geistes” (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Band 1, Seite 179).
Soweit die konfessionell religiösen Faktoren, die einen unbestreitbaren Einfluss auf die Psychologie unseres Umgangs mit dem Geld haben.