Er hieß Jean-Baptiste Grenouille, und wenn sein Name im Gegensatz zu den Namen anderer genialer Scheusale, wie etwa de Sades, Saint-Justs, Fouchés, Bonapartes usw., heute in Vergessenheit geraten ist, so sicher nicht deshalb, weil Grenouille diesen berühmteren Finstermännern an Selbstüberhebung, Menschenverachtung, Immoralität, kurz an Gottlosigkeit nachgestanden hätte…
Mit diesen Worten beginnt Patrick Süskind die Beschreibung des Helden seines Romans „Das Parfum“: Die Geschichte eines Mörders aus dem Jahr 1985. Es geht hier um einen monomanischen Autisten, der sich zwischen Scheusal und Wunderkind hin und her bewegt. Er ist laut dieser Beschreibung ein Verstoßener, ein Saboteur, ein Narzisst so wie auch ein Größenwahnsinniger, ein Amoralist, ein neuer Messias, ein Antichrist und ein schizophren-autistisches Monster, ein Mörder und Genie.
Es ist ein wahres Neujahrsfeuerwerk von Worten, mit denen uns der Held dieser Erzählung vorgestellt wird. Es ist das Bild einer narzisstischen Persönlichkeit in all ihrem Glanz. Die bunte und scheinbar wahllose Aneinanderreihung dieser zahlreichen Facetten prägt das Grandiose dieses Persönlichkeitsmusters, das weit jenseits von Gut und Böse steht. Es mag uns auch noch so sehr abschrecken, wir entkommen aber nur schwer seinem Glanz.
Und es ist genau dieser Glanz, der hier die narzisstische Ausprägung charakterisiert, die ansonsten im täglichen Leben nur allzu oft unerkannt bleibt.
Es gibt viele berühmte Menschen um uns herum, die an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (Narcissistic Personality Disorder, NPD) leiden, die wir umgangssprachlich oft einfach Narzissmus nennen, obwohl es daneben auch immer noch einen „gesunden” Narzissmus gibt, der für ein kräftiges und nicht gestörtes Selbstwertgefühl sorgt.
Manche glauben, dass narzisstische Züge erst dann auftauchen, wenn das Individuum jahrelang hart für seinen Erfolg gearbeitet hat und dass sein Erfolg dann eine Persönlichkeit voller narzisstischer Züge hervorgebracht hat. Andere glauben, dass sie von Anfang an narzisstisch waren und sich nur Gelegenheiten und Fachgebiete gesucht haben, die ihre narzisstischen Bedürfnisse befriedigen. Eine entsprechende Veranlagung wird jedoch in jedem Fall vorhanden gewesen sein.
Sobald sie dann berühmt werden, tritt narzisstisches Denken und Verhalten in den Vordergrund. Sie haben jetzt viel Geld und Ruhm und wollen nicht bei Veranstaltungen in der Schlange warten. Sie werden um Fotos und Unterschriften gebeten, was dann zu einem anspruchsvollen Verhalten führt, sowie dem Gefühl, über dem Gesetz zu stehen. Sie werden exhibitionistischer und haben häufig auch Probleme mit Drogen- und Alkoholmissbrauch, sowie Selbstmordversuchen.
Schnell fallen einem viele Beispiele bekannter Persönlichkeiten ein, die ein grandioses Selbstbild von sich hatten und manchmal, wie in dem oben zitierten Auszug aus Patrick Süskinds Roman, negative Vorbilder sind, manchmal aber auch positive.
Ich will hier nur die folgenden nennen: Saddam Hussein, Margaret Thatcher, Casanova, Marquis de Sade, Madonna, Marlon Brando, Charlie Chaplin, Elvis Presley, Michael Jackson (der insbesondere auch ein anhaltendes Problem mit seinem Aussehen im Spiegel hatte), Pablo Picasso, Paris Hilton. Diese Liste kann leicht fortgesetzt werden.
Es gab eine Zeit, in der Ferndiagnosen auch in der wissenschaftlichen Literatur gang und gäbe waren und wir finden auch viele davon in der frühen Schriften von Sigmund Freud. Heutzutage sind wir vorsichtiger geworden und haben die Gefahr von Fehlschlüssen erkannt, wenn wir unsere Einschätzung auf Elemente von überlieferten Schilderungen basieren ohne uns selbst ein authentisches Gesamtbild der Person machen zu können.
Trotz dieser Einschränkung erscheint es mir dennoch lehrhaft, große Gestalten der Geschichte unter dem Gesichtspunkt ihrer narzisstischen Merkmale zu betrachten, wenn unsere Kenntnis der Betroffenen auch nicht ausreicht, um eine klinisch standhafte Diagnose zu erstellen.
Beginnen wir mit dem ersten Kaiser, der in der deutschen Sprache auch namentlich auf Julius Caesar zurückgeht. Dieser war nicht zuletzt auch ein begnadeter Schriftsteller, was keineswegs unvereinbar mit pathologischem Narzissmus ist. In der Tat ist es ein echter Segen für den Narzissten, ein guter Schriftsteller zu sein.
Wenn wir hier eine Liste von typischen Diagnosekriterien für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zitieren, könnte diese leicht mit einer Beschreibung seiner Persönlichkeit verwechselt werden:
- Er hat ein grandioses Gefühl der Selbstherrlichkeit (z. B. übertriebene Leistungen und Talente, erwartet, als überlegen anerkannt zu werden, ohne entsprechende Leistungen zu erbringen).
- Er beschäftigt sich mit Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe.
- Er glaubt, dass er besonders und einzigartig ist und nur von anderen besonderen oder hochrangigen Menschen (oder Institutionen) verstanden werden kann oder sich mit ihnen verbinden sollte.
- Er verlangt übermäßige Bewunderung.
- Er hat ein Anspruchsdenken, das heißt unangemessene Erwartungen auf besonders günstige Behandlung oder automatische Erfüllung seiner Erwartungen.
- Er ist zwischenmenschlich ausbeuterisch, das heißt er nutzt andere aus, um seine eigenen Ziele zu erreichen.
- Es fehlt ihm an Empathie: Er ist nicht bereit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.
- Er ist oft neidisch auf andere oder glaubt, dass andere neidisch auf ihn sind.
- Er zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Haltungen.
Dies passt zu dem Bild, das wir uns von Caesar machen, von dem wir wissen, dass er seine Frauen betrog, seine Freunde verriet, ständig darüber jammerte, dass alle auf ihn eifersüchtig seien, sich damit brüstete, eine Million Menschen getötet und eine weitere Million versklavt zu haben, der eine Armee auf sein eigenes Land marschieren ließ, um einem Prozess wegen Kriegsverbrechen zu entgehen, der sich zum Diktator auf Lebenszeit erklären ließ und den Titel des Königs nur deshalb ablehnte, weil er sagte, er sei unter seiner Würde, und der seine Statue in Tempeln mit der Inschrift „Dem unbesiegbaren Gott“ aufstellen ließ.
Wenn wir unsere Augen hierfür öffnen, können wir leicht narzisstische Züge bei vielen bekannten Persönlichkeiten erkennen. So schwankte De Gaulle, der das Selbstverständnis der Franzosen nach dem Krieg entscheiden geprägt hat, zwischen selbstloser Verleugnung und narzisstischem Egoismus. Sein derzeitiger Nachfolger im Amt des französischen Staatspräsidenten, Emmanuel Macron, dessen prominentester Talisman auf seinem offiziellen Foto ein aufgeschlagenes Exemplar der Kriegserinnerungen von De Gaulle ist, zeigt typisch narzisstische Züge. Michel Schneider (geb. 1944), der in seinen früheren Büchern mehrfach das Verhältnis zwischen Freud und seinen Nachfolgern untersucht hat, hat hervorgehoben, wie sehr Macrons Bedürfnis, sein Publikum durch Sprache zu verführen, einem wiederholten Ruf nach Anerkennung entspricht, der eine narzisstische Schwäche und Zerbrechlichkeit offenbart. Er erscheint wie eine Art von Psychoanalytiker, der zu seinem Patienten sagt: „Ich höre Ihnen zu“ und dabei denkt: „Hören Sie mir zu“. Er schreibt sich die Aufmerksamkeit, Empathie und das Wohlwollen, die er für andere vorzeigt, als eine Tugend zu und zeigt sich als wäre er einfach nur neugierig auf das, was er zu hören bekommt, wobei er sich jedoch stets als derjenige sieht und hervortut, der gesprochen hat. Er erscheint stets ängstlich darauf bedacht, als der „beste Schüler der politischen Klasse“ gesehen zu werden, als würde er immer nur die große mündliche Prüfung der französischen Ecole Nationale d’Administration (ENA) wiederholen. Michel Schneider erkennt dies als eine „narzisstische Kluft”, die wohl darauf zurückgehen mag, dass er in seiner Familie ungeliebt war. Er litt in Amiens unter der Ablehnung der guten Gesellschaft wegen seiner skandalösen Affäre mit der Frau, die er später geheiratet hat und die fast fünfundzwanzig Jahre älter ist als er.
Geradezu ein Bilderbuchexemplar für dieses Störungsbild ist der frühere US-Präsident Donald Trump. Ein herausragender Ausdruck seines Narzissmus war zwanghaftes Lügen. Es wurde berichtet, dass er in den ersten drei Jahren seiner Präsidentschaft über zwölftausend Mal öffentlich gelogen hat. Wurde er mit der Unwahrheit seiner Aussagen konfrontiert, erläuterte er stets, dass er nicht gelogen, sondern lediglich alternative Fakten präsentiert hat!
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