Universitätsmedizin Mainz setzt als eine der ersten Kliniken in Deutschland telemedizinisches Verfahren zur Tiefenhirnstimulation ein
Anlässlich des Welt-Parkinson-Tags am 11. April weist die Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz auf eine neue telemedizinische Behandlungsoption hin. Das Angebot richtet sich an Patient:innen mit Bewegungsstörungen, die mit einer Tiefenhirnstimulation (THS) behandelt werden. Mit Hilfe der neuartigen digitalen Technologie können die Einstellungen des für die THS implantierten Hirnstimulators erstmals per Fernzugriff überprüft und angepasst werden. Gleichzeitig haben die Patient:innen die Möglichkeit, in ihrer häuslichen Umgebung per Video-Chat mit den behandelnden Ärzt:innen zu kommunizieren.
Der Welt-Parkinson-Tag soll das Bewusstsein für die neurodegenerative Erkrankung Morbus Parkinson und für die Herausforderungen im Alltag der Betroffenen stärken. Mit der telemedizinischen THS-Therapie bietet die Universitätsmedizin Mainz als eine der ersten Kliniken deutschlandweit ein neues Versorgungsangebot, das auf die spezifischen Bedürfnisse von Parkinson-Patient:innen zugeschnitten ist.
„Bislang erfolgen intensivere Anpassungen der THS-Therapie zumeist bei einem stationären Klinikaufenthalt oder durch wiederholte ambulante Termine in der Klinik. Vor allem bei weiteren Anfahrtswegen sind diese für die Betroffenen aber nicht einfach zu realisieren“, erläutert Prof. Dr. Sergiu Groppa, Leiter der Sektion Bewegungsstörungen und Neurostimulation der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz. Er betont: „Für Parkinson-Betroffene kann die Anreise zur Klinik eine große körperliche Herausforderung darstellen. Das von uns neu eingesetzte telemedizinische Therapieverfahren spart nicht nur die Anfahrtswege und -zeiten. Von besonderer Bedeutung ist gerade in der aktuellen Pandemie-Situation auch, dass damit direkte Kontakte reduziert werden können.“
Ein weiterer wichtiger Vorteil der THS-Therapie per Ferneinstellung: Durch die Behandlung in der häuslichen Umgebung können die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen noch besser in die Therapieplanung einbezogen werden. „Jede Therapieeinstellung, die in der Klinik vorgenommen wurde und dort einen guten Effekt gezeigt hat, muss anschließend im Alltag erprobt werden. Mit Hilfe der Telemedizin können wir die Anpassungen dagegen in Echtzeit und über die räumliche Distanz hinweg direkt im Alltagsumfeld gemeinsam mit dem Patienten testen und optimieren. Das gibt den Betroffenen eine zusätzliche Sicherheit“, erklärt Professor Groppa.
Bei der Tiefenhirnstimulation, kurz THS oder DBS (Deep Brain Stimulation) handelt es sich um ein etabliertes Verfahren zur Therapie von Bewegungsstörungen. In einem operativen Eingriff werden dabei unter Vollnarkose zunächst kleine Elektroden im Gehirn platziert. Diese werden mit einem Impulsgenerator verbunden, der auf dem Brustkorb implantiert wird. Die Elektroden senden die vom Generator erzeugten elektrischen Signale an bestimmte Gehirnbereiche, welche die Bewegung kontrollieren. So kann die krankhafte Aktivität blockiert und ausgefiltert werden.
Die umgangssprachlich auch als Hirnschrittmacher bezeichnete Behandlungsform wird insbesondere bei Patient:innen mit Morbus Parkinson angewendet. Mit rund 300.000 Betroffenen ist die Parkinson-Krankheit nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung in Deutschland. Zu den typischen Symptomen der chronischen Erkrankung zählen motorische Störungen wie beispielsweise eine Bewegungsverlangsamung, eine zunehmende Muskelsteifheit, Zittern sowie eine instabile Körperhaltung. In der Regel kommt die THS zum Einsatz, wenn die medikamentöse Parkinson-Therapie nicht mehr ausreichend ist und die Betroffenen deshalb an Lebensqualität verlieren. Die THS-Therapie ist vollständig reversibel – der Hirnstimulator kann abgeschaltet und wieder komplett aus dem Körper entfernt werden.
In der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz wird das THS-Verfahren seit 2005 in enger Kooperation mit der Klinik für Neurochirurgie eingesetzt. Jährlich werden rund 30 bis 40 Eingriffe durchgeführt. Damit zählt die Universitätsmedizin Mainz zu den größten THS-Behandlungszentren in Deutschland. Seit Ende Oktober 2021steht den THS-Patient:innen in Mainz zusätzlich die telemedizinische THS-Therapie zur Verfügung.
Die neuartige Softwarelösung des Unternehmens Abbott, einem der Hersteller von THS-Systemen in Europa, umfasst einen In-App-Videochat sowie eine Programmier-App. Damit können die behandelnden Ärzt:innen erstmals per Ferntherapiemanagement über eine Cloud- und Bluetooth-basierte Technologie den Batteriestatus des Hirnstimulators abfragen sowie notwendige Einstellungen und Anpassungen der Stimulationstherapie vornehmen.
Nach Angaben des Herstellers werden dabei alle Maßgaben zur IT-Sicherheit, zum Datenschutz und mit Hinblick auf Einwilligungsmodalitäten gewährleistet. Bei einem Stromausfall oder einer instabilen Internetverbindung schalte der Hirnstimulator umgehend in einen sicheren Modus auf Basis der letzten oder der vorherigen Einstellung.
Grundsätzlich können alle Patient:innen mit einem THS-System des Herstellers Abbott von der neuen Therapieoption profitieren. „Die Angebote der Telemedizin werden immer vielfältiger und eröffnen auch Patienten mit Parkinson ganz neue Möglichkeiten. Die THS-Therapie per Fernzugriff stellt einen wichtigen Meilenstein für die Telemedizin in Deutschland dar. Als ergänzendes Behandlungsangebot kann sie dazu beitragen, die Betroffenen zu entlasten und die Stimulationstherapie zu optimieren“, ist Professor Groppa überzeugt.
Bisher ist die Software ausschließlich für Apple-Geräte verfügbar. Für die Nutzung wird den Patient:innen ein iPod Touch zur Verfügung gestellt. Zukünftig soll die Anwendung auch für weitere Betriebssysteme bereitgestellt werden.
Quelle:
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz