Abraham Maslow (1908-1970), ist einer der am meisten zitierten Psychologen des 20. Jahrhunderts. Er gilt zusammen mit Carl Rogers (1902-1987) als Gründervater der Humanistischen Psychologie, die im Humanismus und darauf aufbauend im Existentialismus (Jean-Paul Sartre, Martin Heidegger) und der Phänomenologie (Edmund Husserl) verankert ist. Er beschreibt auf eine einfache und anschauliche Art und Weise die menschlichen Bedürfnisse und Motivationen, die bei ihm in einer hierarchischen Struktur stehen und dementsprechend allgemein als eine Pyramide dargestellt werden. Diese erstreckt sich von den physiologischen Grundbedürfnissen (wie Atmung, Wasser, Nahrung, Schlaf, Fortpflanzung) und den Sicherheitsbedürfnissen (körperliche und seelische Sicherheit, materielle Grundsicherung, Arbeit, Wohnung, Familie, Gesundheit) im Basisbereich bis zur Selbstverwirklichung (Entfaltung von Talenten, Potenzialen und Kreativität) in der Spitze.
Dazwischen siedelt er den Bereich der psychologischen Bedürfnisse ein, die die soziale Bedürfnisse (Familie, Freundschaft, Gruppenzugehörigkeit, Kommunikation, sozialer Austausch, Liebe und sexuelle Intimität) und die Individualbedürfnisse (Wertgefühl, Wunsch nach Erfolg, Ansehen, Prestige, Wertschätzung, Achtung und Wichtigkeit) beinhalten.
Es ist somit das Wertgefühl, bzw. Selbstwertgefühl (Self-Esteem), das die oberste Stufe der psychologischen Bedürfnisse ausmacht.
Es zeigt sich, dass 17 von 20 Erwachsenen (das sind 85% der Bevölkerung) ein vermindertes Selbstwertgefühl aufweisen. Dieses ist direkt oder indirekt Gegenstand vieler Psychotherapien und verdient eine nähere Betrachtung.
Ein wichtiges klinisches Merkmal für ein niedriges Selbstwertgefühl ist die Selbstunsicherheit. Diese zeigt sich oft in Form von Angst. Angst nicht willkommen zu sein oder Fehler zu machen, bzw. falsche Entscheidungen zu treffen.
Die Betroffenen getrauen sich nicht zu sagen, was sie selbst wollen und entschuldigen sich andauernd für etwas. Sie folgen dem, was andere machen oder sagen, kleiden sich wie die anderen und zeigen keine Eigeninitiative. Sie haben andauernd das Gefühl, nicht würdig zu sein, kein Lob zu verdienen und begnügen sich oft mit geringer Bezahlung und einfachen Lebensbedingungen. Es fällt ihnen schwer, Entscheidungen zu fällen und wenn sie dies schaffen, halten sie danach meist auch nicht mit ihrer Wahl durch. Sie kennen oft keine Grenzen, was schnell zu Verletzlichkeit führen kann. Sie neigen dazu, sich übermäßig für andere einzusetzen und übertriebene Geschenke zu kaufen um bei anderen willkommen und anerkannt zu sein. Dabei behalten sie stets ein negatives Eigenbild von sich und glauben nicht, das andere sie ihretwillen und so wie sie sind akzeptieren können. Innerlich gehen sie hart mit sich selbst um und finden nur negative Worte für sich selbst.
Damit verbunden finden wir häufig Selbstzweifel, die bedingen, dass sich die Betroffenen nicht wehren und dazu neigen, Ungerechtigkeiten zu schlucken, was wiederum bewirkt, dass sie schnell den Respekt ihres Gegenübers verlieren. Ihre Wahrnehmung ist oft selektiv auf Defizite ausgerichtet, sodass sie nicht so sehr ihre eigenen Stärken und Erfolge oder Karrierechancen sehen, sondern viel mehr jede vermeintliche Schwäche und jeden Fehler. Dies bewirkt, dass sie meistens weit hinter ihren wirklichen Möglichkeiten zurückbleiben. Sie klagen oft über die Ellenbogenmentalität und die Rücksichtslosigkeit der anderen, übersehen aber dabei, dass sie selbst wenig tun, um ihre eigenen Ziele und Interessen zu erreichen.
Auf der Gefühlsebene fühlen sie sich grundsätzlich den anderen unterlegen und scheuen es, aktiv an Diskussionen teil zu nehmen. Wenn sie dann aber etwas sagen, haben sie oft das Gefühl, von den anderen nicht gehört zu werden. Dies führt zu Selbstvorwürfen, sich zu viel gefallen zu lassen. In Beziehungen ziehen sie es oft vor zu schweigen und nehmen es dann ihren Mitmenschen übel, wenn diese ihre Gedanken nicht richtig erraten haben. Es kommt vor, dass sie Angriffe sehen, wo gar keine sind und dass sie eines Tages, wenn sie über den Rand dessen kommen, was sie ertragen können, plötzlich bei einer harmlosen Nachfrage explodieren. Es mag ausreichen, dass ein Arbeitskollege sie fragt, ob sie bereits einen bestimmten Brief geschrieben haben und sie werfen diesem entrüstet vor, dass er doch sehen muss, wie viele Stunden sie bereits intensiv bemüht damit verbracht haben eine andere wichtige Angelegenheit zu bearbeiten und daher bis jetzt nicht auch noch diesen Brief schreiben konnten.
Wir haben bereits erwähnt, dass ihre Wahrnehmung auf die Defizite ausgerichtet ist. Dies gilt jedoch auch für die Schwächen und Fehler der anderen, denn wer selbst wenig Eigenliebe hat, hat noch weniger für die anderen übrig. Jeder Fehler, den sie bei anderen entdecken ist eine Chance für sie, die gefühlte eigene Unterlegenheit abzubauen und den anderen auf Augenhöhe zu begegnen. Dies verhilft ihnen sodann zu einer kurzfristigen Entlastung, aber es macht sie letztlich auch nicht selbstsicherer oder glücklicher.
Um dies zu erreichen, brauchen sie therapeutische Hilfe und eine Auseinandersetzung mit den Ursachen ihres niedrigen Selbstwertgefühls.
Überhaupt ist der Mangel an Selbstwertgefühl wie eine offene Wunde ihrer Seele, auf der jede Kritik wie Salz brennt. Auch erleben sie jeden Misserfolg oder Fehler viel härter als andere und wenden viel Kräfte auf, um ihr Inneres vor vermeintlichen Angriffen von außen zu schützen.
Dies äußert sich oft in einem Harmoniebestreben. Sie schicken sich an, es allen recht zu machen um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Dies kostet sie jedoch auch einen hohen Preis. Sie verzichten so langfristig auf eigene Wünsche und Bedürfnisse, bis sie diese fast vergessen und verlieren so auch die spontanen Freuden des Lebens, was seinerseits oft wiederum zu Resignation und Depression führen kann. In Beziehungen sagen sie nicht ehrlich, was sie denken und stauen oft viel Ärger in sich an, bis ihnen eines Tages der Kragen platzt und sie dann ihrem Partner Dinge vorwerfen, die mitunter Jahre zurückliegen können und dieser seit langem vergessen hat.
Die jüngere Forschung hat gezeigt, dass wir es hier mindestens zu 40 % mit einer genetisch vererbten Störung zu tun haben. Der Rest wird durch frühkindliche Erfahrungen bestimmt.
Es hat sich aber auch gezeigt, dass die genetische Veranlagung, wenn sie vorliegt, durch Umwelteinflüsse in der frühen Kindheit und auch später in die eine oder die andere Richtung beeinflusst werden kann. Wir gehen daher von dem Model einer psychologischen Fehlprogrammierung aus, bei dem die Betroffenen meinen, sie wären nicht gut genug. Diese Grundüberzeugung ist jedoch falsch, aber diese „Pechvögel“ halten an ihren Überzeugungen fest, weil sie ihnen so vertraut ist.
In manchen Fällen lässt sich unter Hypnose herausfinden, bei wem von den Eltern oder Großeltern eine entsprechende Aussage in der Kindheit aufgeschnappt wurde. In diesen Fällen ist eine Korrektur der Falschprogrammierung relativ leicht zu erreichen.
Ansonsten zeigen verhaltenstherapeutische Maßnahmen in der Regel die besten Therapie-Erfolge.
Ein wichtiger Schritt bei der Behandlung ist es zu akzeptieren, dass man manchmal eben unsicher ist, zweifelt und Angst hat.
Wenn immer jene innere Stimme ertönt, die sagt, “das schaffst du nicht” oder “dafür bist du nicht gut genug” wird die Person lernen, dieser freundlich zuzuhören (als würde ein inneres Kind zu ihm sprechen) und innerlich zu antworten: “Ja, das ist jetzt wieder meine Unsicherheit. So redet sie eben mit mir und vermittelt mir eine falsche Selbsteinschätzung.”
Wenn immer bei dem Betroffenen Ängste, Unsicherheit oder Zweifel auftreten, heißt es bewusst von dem Innenleben Abstand zu nehmen und zu erkennen, dass diese unangenehmen Gefühle nur jene Anteile seiner Person sind, die im Grunde genommen kindlich strukturiert geblieben sind. Sie stehen anderen Anteilen in ihm gegenüber, die erwachsen und rational funktionieren. Die letzteren müssen dann liebevoll mit den ersteren sprechen und ihnen Mut machen, bis sich dann die Ängste gelegt haben.
Sobald die Person dann im Laufe der Therapie mehr Selbstwertgefühl aufgebaut hat, wird sie erkennen können, das Unsicherheit nichts Schlimmes ist und, dass sie ihre Schwächen akzeptieren kann, während sie ohne ausreichendes Selbstwertgefühl weiterhin einem Idealbild hinterhergelaufen wäre und mit sich gekämpft hätte.