Die Häufigkeit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in der Bevölkerung wird im Allgemeinen mit 1 % beziffert. Dies entspricht zum Beispiel der Häufigkeit des Vorkommens der Schizophrenie. Es ist die Häufigkeit der auffällig bösartig toxischen Form der Störung. Mildere und weniger auffällige Formen, die nie klinisch erfasst werden, sind hingegen weitaus häufiger anzutreffen und Stefanie Paolucci hat diese 2020 mit 10 % benannt. Studien haben ergeben, dass die Störung bei Männern häufiger zu beobachten ist als bei Frauen und sie konnten auch einen hohen erblichen Anteil bei Auftreten der Störung zeigen.
Die sieben hier als typisch erkannten Anzeichen für diese Störung sind:
- Mangel an Empathie
- Abwertung anderer Menschen
- Arrogantes Auftreten
- Größenideen
- Neid, oder das Gefühl, dass andere neidisch sind
- Leeregefühl und Depressivität
- Scham und daran anschließende Wut
Der zuletzt genannte Punkt hängt mit der sogenannten „Scham-Wut Spirale” zusammen. Die Betroffenen werden sich bei Fehlern selbst ab und empfinden Scham. Dieser Zustand ist sodann für sie nicht auszuhalten und sie reagieren mit Wut.
Eine klinisch psychiatrische Behandlung kommt in der Regel nur indirekt zustande, wenn Probleme am Arbeitsplatz oder in der Partnerschaft auftreten. So beklagen Narzissten zum Beispiel, dass sie die anderen auf der Arbeit mobben, während sie selbst den Laden fast alleine schmeißen könnten. Folglich wären die anderen neidisch auf sie und wollen sie raus haben. In Bezug auf die Partnerschaft könnte die typische Klage eines Narzissten lauten, dass er attraktive und tolle Frauen treffe, dann aber feststellen müsse, dass sie alle nur langweilig sind und ihn ausnutzen wollen. Er sieht sich dann als Pechvogel, der immer an die falschen Frauen gerate.
Andere Patienten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung kommen in Behandlung aufgrund von Suchtproblemen, Depression oder suizidalen Krisen, das heißt wegen Nebenerkrankungen (Kommorbiditäten), die zunächst vordergründig nichts mit ihrer wahren Störung zu tun haben.
Professor Stefan Röpke von der Charité-Klinik in Berlin, der sich auf die Behandlung dieser Störung spezialisiert hat, spricht von einer Mehrzahl von „gesundem Narzissmus” und meint damit jene Betroffenen, die selbst nicht leiden und daher auch keine Behandlung suchen. Das Wort „gesund” ist jedoch mehrdeutig und erscheint mir in diesem Zusammenhang keine so gute Wahl, da es sich dennoch um eine nicht unerhebliche Störung handelt.
Neurowissenschafliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Patientin mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung eine Verminderung der Zellen im Gehirnareal der Insel-Region zu finden ist. Dieser Gehirnteil spielt beim Mitgefühl eine bedeutende funktionelle Rolle.
Die auch von mir vertretene psychopathologisch dynamische Entstehungserklärung für diese Persönlichkeitsstörung, bei der keine frühkindliche Beziehung zu Elternpersonen aufgebaut werden konnte, die sonst normalerweise den Aufbau eines starken Selbstgefühls ermöglicht, wurde bereits dargelegt. Die Eltern wurden hier als kalt und indifferent erlebt.
Nach diesem Erklärungsmodel gab es bei den Betroffenen keine Liebe von außen und es konnte sich auch keine Selbstliebe entwickeln. Es hat sich stattdessen als Schutzfunktion ein fiktives grandioses Selbst entwickelt und dieses kennt kein Mitgefühl für sich selbst oder für andere. Daneben wurden auch andere psychopathologische Entstehungserklärungen formuliert, wie eine autoerotische Störung, eine Entwicklungsstörung mit Regression in ein älteres Entwicklungsstadium oder einem Verharren in diesem, oder auch eine behavioristische und lerntheoretisch ausgerichtete Erklärung, die auf einem Über-Lob für minimale Leistungen im Kindesalter beruht.
Es ist daher nicht auszuschließen, dass bei jemandem, der solch eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur zeigt, mehr als nur einer dieser Faktoren neben einer möglichen genetischen Veranlagung in der Entwicklung eine Rolle gespielt haben mag.
Klinisch finden wir regelmäßig eine Selbstwertregulationsstörung mit einem impliziten (unbewussten) niedrigen Selbstwert und daraus resultierenden Versuchen, diesen aufzuwerten, wobei die Intensität dieser Kompensationsversuche mit dem Lebensalter abnimmt. Je nach Konstitution stehen entweder die grandiosen Anteile oder die vulnerablen Anteile der Reaktion im Vordergrund. Die verletzliche Anteile sind dabei unter anderem Depression, Leere und Schamgefühl.
Wie wir bereits gesehen haben ist die psychische Struktur bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung im Prinzip einfach, aber dennoch nicht immer so leicht zu verstehen. Sie ist aufgrund einer sadistischen Komponente komplexer als die eines Egoisten, der keinen Lustgewinn dabei hat, andere fertig zu machen. Er ist ein Einzelgänger und stets bestrebt, perfekt zu sein um keine Schwäche einzugestehen. Aufgrund der ihm fehlenden Krankheitseinsicht wird er stets die Fehler bei den anderen und die Gründe für Probleme außerhalb von sich selbst suchen.
Es besteht gleichzeitig auch ein höheres Suizidrisiko als bei den anderen Persönlichkeitsstörungen oder in der Durchschnittsbevölkerung, wenn auch bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung im Allgemeinen weniger Suizidversuche beobachtet werden. Wenn ein Betroffene jedoch einmal versucht sich das Leben zu nehmen, gelingt ihm dies auch meistens.
Dies erklärt auch warum dieser Typ von Patienten eine besondere Herausforderung für Therapeuten darstellt. Neben dem erhöhten Suizidrisiko, überschätzt er stets zu Beginn einer Behandlung den Therapeuten um dann in eine abwertende und verschmähende Haltung überzuwechseln, was nicht alle Therapeuten leicht tolerieren können.
Im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Therapie wird man versuchen, ihn zunächst dazu anzuhalten, „egoistischer” zu sein und mehr auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Sinnvolle verhaltenstherapeutische Therapieziele sind dabei die Arbeit an der Selbstwertregulation, die Reduktion narzisstischer Verhaltensweisen, eine Verbesserung der Beziehungsfähigkeit, Empathietraining, das Erlernen eines besseren Umgangs mit Gefühlen wie der Scham und eine Aktivierung hilfreicher Ressourcen.
Ein psychoanalytischer Behandlungsansatz kann sich ebenso wirksam erweisen, ist aber aufgrund einer weitgehend fehlenden Krankheitseinsicht meistens schwieriger in Gang zu bekommen.
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